Reise ans Ende der Nacht, Theatertreffen im Haus der Berliner Festspiele

Castorf in München bietet viel Volksbühnen-Vertrautes: natürlich die Videowand, eine Drehbühne, ausgestattet mit viel Liebe zum Detail, die viel Platz für akrobatische Einlagen der Schauspieler bietet, stilisierende Kostüme, etwas Geschrei, derbe Sprache, gute Musik und den obligatorischen Penis. Die übergeordneten Themen: Krieg und Liebe. Kleiner ging’s natürlich nicht. Die vier Stunden wollten schließlich gefüllt und das Publikum gefordert werden. Das Mittel diesmal: Fragmentierung und ein echtes Huhn. Das Stück ist wie eine Pro-Kontra-Auseinandersetzung über den Krieg aufgebaut, die in einer Art Parabel über die Liebe gipfelt.

Im ersten Teil transportieren die Episoden das Gefühl von Sinnlosigkeit. Die Sinnlosigkeit des Krieges, der Verbitterung, Lügen und grausamen Egoismus entfaltet. Aber auch Sinnlosigkeit als kleiner Gedanke in meinem Kopf … es fiel mir schwer, die Fragmentierung zu akzeptieren. In meinem Job würde man wohl kritisieren, es hätte keine „User-Journey“ gegeben.

Das änderte sich nach der Pause schlagartig. Auf einmal bekam das Kriegsthema eine Wendung. Das machte Sinn! Castorf referenzierte auf Heiner Müller und ließ seine Schauspieler singen, warum sich das Kämpfen lohnen kann. Die kleine Ironie des Schicksals dabei: Wieder saßen Nina und ich in diesem Paradesaal Westberliner Baukunst und wieder waren wir mit Heiner Müllers „Der Auftrag“ konfrontiert. Glücklicherweise nicht so schrecklich langweilig wie in Ulrich Mühes furchtbarer Inszenierung, die damals auch Christiane Paul und Florian Lukas nicht retten konnten.

Dieses Mal haben wir zwar nicht geschlafen, 30 Minuten vor Ende sind wir trotzdem gegangen. Es war einfach zu lang. Und – für uns Castorf-„Erfahrene“ – auch zu einfallslos. Nina konnte gar keine Weiterentwicklung seines Stils feststellen. Obwohl ihr letztes Mal schon Jahre her ist. Ich spreche ihm durchaus überraschende Dynamiken in seinem Schaffen zu: Das Stück hatte Humor – immer wieder. Super zum Beispiel, als sich einer der Protagonisten über fleißige Ameisen beschwerte und sie mit Vorzeige-Kommunisten verglich. Ein solches Augenzwinkern wäre in seiner Dostojewski-Phase nicht drin gewesen. Gereicht hat es aber nicht, um bis zum Ende zu bleiben.

Einige Sequenzen waren dennoch poetisch. Wegen ihrer emotionalen Vielfalt und gelungener Assoziationen. Assoziationen vier Stunden lang sind aber leider übertrieben.